Toxic Twins CO und HCN - die tödlichen 2
CO und HCN,
im angelsächsischen Raum bei Fachleuten als die "Toxic Twins" berüchtigt, bilden eine chemische Verbindung mit erstickender Wirkung. Ihr Einatmen kann in der akuten Situation zum Herzstillstand führen und noch Jahrzehnte später zu Krebserkrankungen. Da die Schädlichkeit von Kohlenmonoxid und Cyanwasserstoff zusammengenommen exponentiell größer ist als die der Einzelgase für sich genommen, ist es nicht ausreichend, bei einem Inneneinsatz die Gase mit ihren jeweiligen Alarmschwellen separat zu messen. Dieser Artikel erklärt, warum die Gefahr einer CO- und HCN-Exposition heutzutage so hoch ist. Er untersucht die Progressionswirkung der beiden Gase im Körper und stellt bewährte Verfahren vor, um Feuerwehrleute im Einsatz zu schützen. Dazu gehört auch eine neue Gasüberwachungstechnologie, die CO und HCN gleichzeitig messen und so schneller vor dem gleichzeitigen Auftreten beider Gase warnen kann. Hintergrund In den 1970er Jahren erkannten Feuerwehren, wie gefährlich die Inhalation giftiger Gase aus Brandrauch ist. Kurze Zeit später wurden Brandermittler auf die Gefahr giftiger Gase aufmerksam, die bei Innenangriffen auftreten können. Heutzutage weiß man zunehmend mehr darüber, welche Langzeitrisiken mit toxischen Gasen verbunden sind – beispielsweise Krebserkrankungen. In der Vergangenheit bestanden Wohnungseinrichtungen vorwiegend aus natürlichen Materialien wie Baumwolle, Wolle und Holz. Ab den 1960er Jahren wurden in der Produktion zunehmend auch Kunststoffe verarbeitet. Heute bestehen Möbel, Teppichböden und Heimtextilien, die Kleidungsstücke, elektronischen Geräte und Baustoffe in gewöhnlichen Wohnhäusern oder Bürogebäuden überwiegend aus synthetischen Materialien. Isolierstoffe – ob gerollt oder als Spritzschaum – produzieren beim Verbrennen große Mengen von HCN und anderen Giftstoffen. Weil Kunststoffe heißer brennen und schneller durchzünden als natürliche Materialien, beschleunigen sie auch die Freisetzung von Cyanwasserstoff. Die Strahlungswärme der Feuerquelle erhitzt die Materialien in der Umgebung, und das führt zu sogenannten Pyrolyseprozessen, bei denen die schwelenden Stoffe toxische Gase verströmen, bevor sie sich entzünden. Ein tragisches Beispiel dafür war der Brand des Nachtklubs "The Station" in der amerikanischen Kleinstadt West Warwick, Rhode Island, am 20. Februar 2003. Beim Auftritt einer Band kamen damals zwei pyrotechnische Geräte zum Einsatz. In einer exothermen Reaktion erzeugten sie einen 15-sekündigen Funkenregen, der sich über 4,50 Meter weit in den Raum erstreckte. Die Funken setzten Schaumstoffplatten in Brand, die zur Schalldämpfung rund um die Bühne und an den Wänden des Klubs angebracht waren. Schon die ersten Flammen ließen die
Temperatur im Raum ansteigen, und durch die Pyrolyseprozesse am Schaumstoff entstanden enorme Mengen cyanhaltigen Rauchs.
Spätere Untersuchungen des Unglücks
und eine Simulation des amerikanischen National Institute of Standards and Technology (NIST) zeigten, dass das Gebäude nicht mit einer ausreichenden Sprinkleranlage ausgerüstet war. So konnten sich die entstehenden Gase ungehindert ausbreiten, und binnen 90 Sekunden wurde der Bühnenraum zur tödlichen Falle. Viele der 462 Anwesenden wurden von den HCN- und CO-Gasen im Rauch überwältigt, bevor sie den Raum verlassen konnten. 100 Menschen verloren ihr Leben, mehr als 200 wurden verletzt oder erlitten schwere Verbrennungen. Wo Rauch ist, sind auch giftige Gase Die häufigste Todesursache bei Wohnungsbränden sind nicht Brandverletzungen, sondern Rauchvergiftungen. Eine Studie der amerikanischen National Fire Protection Association (NFPA) aus dem Jahr 2011 zeigt, dass Menschen bei Wohnungsbränden achtmal häufiger durch Rauchinhalation ums Leben kommen als durch Verbrennung. Bei einem Brand sinkt der Sauerstoffgehalt der Luft, und sie enthält mit hoher Wahrscheinlichkeit Kohlenmonoxid und weitere giftige Stoffe. Brandrauch erzeugt Giftstoffe, unabhängig von seiner Dichte, Farbe oder Bewegung. Es ist nicht möglich, vom Aussehen des Rauchs abzuleiten, wie toxisch er ist. Dass schwerer, unruhiger Rauch Giftstoffe enthält, ist offensichtlich – aber heller Rauch oder Dunst kann genauso giftig sein. Feuerwehrleute sind schädlichen Substanzen sowohl mit der Haut als auch den Atemwegen ausgesetzt. Die Lunge nimmt Giftstoffe jedoch 300-mal schneller auf als die Haut. HCN – der stille Killer Die Gefährlichkeit von Kohlenmonoxid ist seit vielen Jahren bekannt. Feuerwehrleute sind darauf trainiert, die Symptome einer Kohlenmonoxidvergiftung zu erkennen – Kopfschmerzen, Übelkeit und Schläfrigkeit. Kohlenmonoxid kann in hohen Konzentrationen tödlich sein. Das Auftreten von Cyanwasserstoff dagegen übersieht man leicht. Cyanwasserstoff wird eher mit Chemiewaffen oder Gefahrstoffszenarien in Verbindung gebracht. Die Forschung zeigt jedoch, dass ein Großteil der vielen tausend Brandopfer pro Jahr auf die Einwirkung von Cyanwasserstoff zurückzuführen ist. Wie Studien belegen, kann HCN in Brandrauch bis zu 35-mal giftiger sein als CO.
Der Kurzzeit-Expositionsgrenzwert
(TLV-STEL) des amerikanischen National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH) für Cyanwasserstoff beträgt 4,7 ppm – Konzentrationen oberhalb dieses Wertes sollte ein Arbeiter nicht ausgesetzt sein (gemittelt über 15 Minuten). Expositionen dieser Art dürfen nicht häufiger als viermal pro Tag auftreten. Die American Conference of Governmental Industrial Hygienists (ACGIH) definiert 4,7 ppm sogar als Expositionsobergrenze, die grundsätzlich nicht überschritten werden sollte. In Untersuchungen zeigte sich jedoch, dass bei Gebäudebränden HCN-Werte von 200 ppm üblich sind – eine Konzentration, die nach 30 bis 60 Minuten tödlich ist. Früher glaubte man, es reiche aus, Menschen mit CO-/HCNVergiftung einfach aus dem verrauchten Bereich an die frische Luft zu bringen – dort würden die aufgenommenen Toxine durch saubere Luft ersetzt werden. Heute weiß man, dass Giftstoffe lange im Körper gespeichert bleiben und nur schwer zu verdrängen sind. Krebs ist heute die Nr. 1 unter den langfristig wirkenden Ursachen für berufsbedingte Todesfälle bei Feuerwehrleuten.
Wenn Feuerwehrleute nach einem Einsatz über Schwindel, Schwäche und Herzrasen klagen, könnten das die Auswirkungen einer HCN-Vergiftung sein. Es ist anzunehmen, dass zahlreiche Herzinfarkte oder Herzstillstände unter Feuerwehrleuten auf HCN-Expositionen zurückzuführen sind. Cyanwasserstoff hat zudem einen narkotischen Effekt und kann irrationales Verhalten verursachen. Unter Umständen führt das dazu, dass Feuerwehrleute oder Brandopfer riskante oder gar lebensbedrohliche Entscheidungen treffen.
HCN im Körper bewirkt
HCN greift schwer schädigend in unsere Atmungskette ein, indem es die aerobe Atmung in jeder Körperzelle hemmt. Normalerweise stellt der Körper während der aeroben Atmung Nährstoffe für Schlüsselenzyme bereit, die unsere wesentlichen Körperfunktionen ermöglichen. Wird Cyanwasserstoff inhaliert, bindet er sich mit hoher Affinität an das wichtige Enzym der Atmungskette Cytochrom-c-Oxidase. Dadurch wird der aerobe Atemweg abgeschaltet. Infolgedessen reichern sich Laktatazidose und anderen toxische Substanzen in Geweben und Organen an. Das bedeutet, dass den Zellen kein Sauerstoff mehr zur Verfügung steht – es kommt zum sogenannten inneren Ersticken. Atmen Menschen bei einem Brand Cyanwasserstoff in Verbindung mit Rauch ein, drohen kognitive Störungen und Schläfrigkeit – das kann ihre Fähigkeit, sich selbst zu retten oder bei Rettungseinsätzen mitzuwirken, beeinträchtigen. Niedrige Cyanidkonzentrationen (oder eine einsetzende Vergiftung durch hohe Konzentrationen) führen zu Schwindelgefühlen, Verwirrung, geröteter Gesichtsfarbe, Angst, Schweißausbrüchen, Kopfschmerzen, Schläfrigkeit und schneller Atmung. Höhere HCNKonzentrationen schädigen Herz, Atmung und Kreislauf. Dadurch
kann es zu Ohnmacht, Zittern, Herzrhythmusstörungen (oft auch mit Verzögerung noch zwei bis drei Wochen nach dem Brand), Koma, Atemdepression, Atemstillstand und Herz-Kreislauf- Kollaps kommen.
Behandlung eines potenziellen HCN-Patienten
Cyanwasserstoff im Brandrauch kann in kurzer Zeit tödlich wirken. Um Menschenleben zu retten, ist es entscheidend, das gefährliche Gas schnell zu entdecken und davor zu warnen. Zur Erstversorgung einer Person, die eine Vergiftung mit Cyanwasserstoff erlitten hat, gehört es, sie von der Gefahrstoffquelle zu entfernen. Dann kann 100-prozentiger Sauerstoff verabreicht und, wenn erforderlich, eine Herz-Lungen-Massage durchgeführt werden. In Frankreich wird seit zehn Jahren mit sehr gutem Erfolg ein neues Gegenmittel namens Hydroxocobalamin eingesetzt. Dieses ist speziell für die Verabreichung direkt am Einsatzort oder Krankenhaus zur Behandlung akuter HCN-Vergiftungen entwickelt worden. Hydroxocobalamin neutralisiert Cyanwasserstoff, indem es sich mit ihm zu Cyanocobalamin (Vitamin B12) verbindet. Dieses wird dann mit dem Urin ausgeschieden. Hydroxocobalamin beeinträchtigt nicht die Fähigkeit des Bluts, Sauerstoff zu transportieren. Vorsicht vor sekundärer HCN-Exposition Feuerwehrleute sollten wissen, dass weiches Körpergewebe wie ein Schwamm funktioniert – deshalb absorbiert es die bei einem Brand entstehenden Gefahrstoffe. Wenn Verletzte aus der kontaminierten Umgebung gerettet werden, setzt in ihrem Körper sofort ein Reinigungsprozess ein, der die schädlichen Stoffe wieder nach außen transportiert. Auf diese Weise könnten auch die Rettungskräfte mit HCN und vielen anderen gefährlichen Chemikalien in Kontakt kommen – das führt zur Gefahr einer
sogenannten ›sekundären Exposition‹. Auch noch einige Zeit, nachdem das Opfer ins Krankenhaus transportiert wurde – etwa bei der Rückkehr zur Feuerwache – können sich bei den Rettungskräften Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und ähnliches bemerkbar machen. Das kann eine Reaktion auf den Stress während des Einsatzes sein. Ebenso wahrscheinlich ist jedoch, dass die Symptome Folge einer Exposition von Gefahrstoffen wie HCN und Kohlenmonoxid sind.
Wie können sich Feuerwehrleute schützen?
Da Feuerwehrleute im Einsatz den Kontakt mit toxischen Stoffen wie HCN und CO nicht vollständig vermeiden können, sollten sie sich durch die Einhaltung folgender Regeln schützen.
- Persönliche Schutzausrüstung tragen: Das sollte für jeden Feuerwehrmann eine Selbstverständlichkeit sein – auch wenn es manchmal Kraft und Aufwand erfordert.
- Toxische Gase überwachen: Integrieren Sie die Gasüberwachung in Ihre Standardprozesse.
- Schweren Atemschutz tragen: Lassen Sie Ihre Atemschutzmaske aufgesetzt, bis Sie sicher sein können, wieder saubere Luft zu atmen. Sorgen Sie dafür, dass umluftunabhängiger Atemschutz für alle Einsatzkräfte verfügbar ist.
- Zeitnah duschen: Eine Dusche innerhalb von einer Stunde reduziert die Kontamination mit Toxinen um 90 Prozent. Wer damit bis zum Schichtende wartet, riskiert eine 100-prozentige Exposition und trägt nicht dazu bei, das Krebsrisiko zu reduzieren.
- Richtig dekontaminieren: Beachten Sie bei der Wiederaufbereitung Ihrer Schutzausrüstung die geltenden Vorschriften und die Pflegehinweise des Herstellers.
- Aufeinander achten: Seien Sie wachsam, ob sich bei Kollegen Vergiftungssymptome zeigen: direkt am Einsatzort, aber auch später in der Feuerwache.
- Ausbilden und trainieren: Richten Sie ein Trainingsprogramm ein, das über die Gefährlichkeit von Cyanwasserstoff aufklärt.
Neue Technologie warnt frühzeitig vor den "Toxic Twins"
Die Forschung zeigt, dass die Kombination von CO und HCN tatsächlich schädlicher ist als die Exposition gegenüber einem der beiden Gase für sich genommen. Wenn beide Gase zusammen eingeatmet werden, haben sie einen toxisch-synergetischen Effekt: CO verhindert, dass Sauerstoff in die lebenswichtigen
Organe gelangt, HCN greift das zentrale Nervensystem und das Herz-Kreislauf-System an und kann so Desorientierung verursachen und die Handlungsfähigkeit beeinträchtigen. Aus diesem Grund ist die Messung der einzelnen Gase mit ihren jeweiligen Alarmschwellen nicht ideal.
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Dräger Deutschland
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