Freimessen - oder wann ist die Luft rein?

Mit Freimessen bezeichnet man die Ermittlung von Gefahrstoffen bzw. deren Konzentration sowie den Sauerstoffgehalt in einem engen Raum / Schacht / Kanal ohne Belüftung. Verbreitet ist hier die Bezeichnung „confined space“, welche auch auf Silos, Container, Behälter, Pipelines, Tunnel und andere geschlossene, kleine Räume zutrifft. Confined spaces sind keine regulären Arbeitsumgebungen, sondern Bereiche, in denen ab und an Wartungen, Inspektionen, Kontrollen usw. anfallen.

Giftige oder explosionsgefährliche Gefahrstoffe gehören zu den häufigsten Ursachen für Zwischenfälle bei Arbeiten in engen Räumen und Behälter. Korrektes und sorgfältiges Freimessen vor dem Befahren / Begehen ist daher eine der wichtigsten Sicherheitsmaßnahmen und für die Beurteilung der Gefährdungen vor dem Einstieg unerlässlich.

 

Basiswissen und Profi-Tipps

Das Freimessen gehört zu den anspruchsvollsten Anwendungen mobilder Gasmesstechnik - angefangen bei der Gefährdungsbeurteilung über die Durchführung der Messung bis hin zur Bewertung der Ergebnisse. Der verantwortliche Freimessende braucht fundiertes Fachwissen über die Eigenschaften der verschiedenen Gefahrstoffe, das Handling der Geräte, anlagenspezifische Besonderheiten und vieles mehr.

 

  • Es stehen Arbeiten in einem engen Raum oder Behälter an - wann genau sollte man die Freimessung vornehmen?

Zeitnah zum Einsatz - und das bedeutet: unmittelbar davor. Geht man nach dem Freimessen erst einmal in Mittagspause und gibt den Raum oder Behälter danach ohne erneute Prüfung zum Befahren frei, könnte man eine böse Überraschung erleben: Umgebungseinflüsse wie Temperatur und Ventilation können die Atmosphäre verändern - binnen kürzester Zeit.

==> TIPP: Ist nach dem Freimessen eine Unterbrechung oder Verzögerung der Arbeiten absehbar, ein mobiles Gerät oder besser noch einen mobilen Bereichsüberwacher an repräsentativer Stelle des Behälters positionieren. Wenn sich die Atmosphäre in Abwesenheit verändert und die Grenzwerte überschritten werden, gibt das Gerät Alarm

Insbesondere bei Stillständen ist zu beachten: Die voreingestellte Alarmschwelle des Geräts muss nicht zwingend dem Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) entsprechen. Aufgrund der längeren Arbeitszeiten bei Stillständen werden meist Minderungsfaktoren eingeführt. Diese Faktoren gleichen die Differenz zwischen den zeitlichen Bezügen des AGW und der realen Arbeitszeit aus. Ein AGW bezieht sich auf eine tägliche Gesamtexpositionszeit von 8 Stunden. Die typische Arbeitsdauer bei Anlagenstillständen beträgt allerdings 12 Stunden. Somit sollte in diesen Fällen auch die Alarmschwelle der Messgeräte geringer als der AGW eingestellt sein.

 

  • Wie oft müssen Funktionstests durchgeführt werden?

Die meisten Hersteller empfehlen für Ihre Geräte, Akkulaufzeiten, Alarmfunktionen und Anzeigen vor jeder Benutzung zu prüfen. In der Praxis gelten international sowie von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedliche Vorgaben. In Deutschland beispielsweise fordern die Berufsgenossenschaften, jedes mobile Gaswarngerät "arbeitstäglich" zu prüfen. "Arbeitstäglich - das kann theoretisch bedeuten: 3 Schichten lang", so Dräger-Trainer Florian Mehlis. "Ich würde aber ehrlich gesagt kein Gerät, das schon seit 16 Stunden im Einsatz ist, nicht von einem Kollegen übernehmen oder benutzen, ohne es vorher noch einmal zu testen".

Bewährt hat sich in der Praxis, systematisch vor jedem Schichtbeginn alle freien Geräte zu checken und dann in einer Box bereitzustellen, aus der sich die Mitarbeiter bedienen können. 

==> ÜBRIGENS: Selbstverständlich darf ein Gerät nach dem Bumptest aus- und später wieder eingeschaltet werden, wenn zum Beispiel zum Einsatzort erst größere Entfernungen zurückgelegt werden müssen.

 

  • Warum soll eine Nullpunkt-Justage an frischer Luft vorgenommen werden?

Die Kalibrierung des Nullpunkts legt dem Gasmessgerät den Referenzpunkt für die Messung fest. Man stellt damit sicher, dass die angezeigten Werte mit der tatsächlich vorhandenen Gaskonzentration übereinstimmen. Um den Nullpunkt korrekt zu justieren, sollte man die Kalibrierung daher am besten in einer Umgebung vornehmen, in der man relativ sicher sein kann, dass wirklich null Prozent des Gefahrstoffs vorhanden sind - idealerweise an der frischen Luft.

Wird ein Gerät zum ersten Mal eingesetzt, kommt ein weiterer Faktor hinzu: Die "Werkseinstellungen" eines Gasdetektors werden unter ganz spezifischen Bedingungen vorgenommen. So kalibriert beispielsweise Dräger seine Sensoren in Lübeck, Deutschland, bei einem Luftdruck von 1.013,25 hP und einer Raumtemperatur von 20 ° C. Ein deutlich niedrigerer Luftdruck - beispielsweise in Höhenlagen - oder eine stark abweichende Außentemperatur verändert die physikalischen Referenzpunkte und kann somit auch die Messergebnisse beeinflussen.

 

Ist Ihr Gasmessgerät funktionstüchtig?

Vor dem Freimessen ist unerlässlich:

1. Gerätetest mit Blick auf Akkulaufzeit und Anzeige

2. Funktionstest

3. Frischluftjustage

4. Dichtigkeitsprüfung des gesamten Systems inklusive Schlauch und Funktionsprüfung der Pumpe

 

  • Wie ermittelt man repräsentative Messpunkte?

Will man in einem Behälter Methan detektieren und entnimmt die Probe auf dem Boden des Behälters, darf man sich nicht wundern, wenn es später kracht. Methan ist bekanntlich ein Leichtgas, das sich schnell mit der Umgebungsluft vermischt; eine Methanwolke steigt tendenziell nach oben. Die Gaskonzentration auf den Boden eines Behälters sagt also nur wenig darüber aus, wie explosionsgefährdet die Atmosphäre ist. Wird hingegen in einem Tank Schwefelwasserstoff vermutet, hilft eine Probe aus dem oberen Bereich des Behälters nicht weiter: H2S ist mit einer molaren Masse von 34 g/mol deutlich schwerer als Luft (29 g/mol) und sinkt deshalb zu Boden. Beide Beispiele zeigen: An der falschen Stelle zu messen, kann im schlimmsten Fall tödliche Folgen haben.

Grundsätzlich gilt die Faustregel: Leichtgase vermischen sich schnell mit Luft, das Wolkenvolumen nimmt rasch zu und die Wolke steigt auf. Messungen in freier Atmosphäre sollten also nahe beim Leck erfolgen. In Behältern kommt es zu Konzentrationserhöhungen in den hochgelegenen Punkten.

Schwere Gase fließen am Boden wie eine Flüssigkeit, umströmen Hindernisse oder bleiben daran hängen, haben eine geringe Vermischung mit der Umgebungsluft und eine hohe Reichweite. Die Messung erfolgt am besten am Boden im Fließbereich. Doch die molare Masse und die physikalische Eigenschaften der zu erwartenden Gefahrstoffe sind nur zwei Aspekte, die bei der Definition geeigneter Messpunkte eine Rolle spielen. Berücksichtigt werden müssen auch:

  1. Art und Form des Behälters oder engen Raums: Kaum ein Tank liegt zum Beispiel 100%ig gerade in Waage. Schwergase sammeln sich dort, wo der Boden niedriger liegt, Leichtgase im höchstgelegenen Bereich. Auch Ausbeulungen, Einbauten usw. müssen berücksichtigt werden.
  2. Temperatur: Werden Gase erhitzt - zum Beispiel weil auf einen Tank stundenlang die pralle Mittagssonne scheint - bewegen sich Moleküle schneller, wodurch auch die Geschwindigkeit der Diffusion (Vermischung mit der Umgebungsluft) steigt.
  3. Ventilation: Luftströme verändern die Positionierung und Konzentration von Gaswolken. Wichtig auch: Nicht immer kann der Behälter, in dem gearbeitet wird, komplett von den Pipelines abgetrennt werden. In diesem Fall ist zu klären, ob Gas nachströmen kann. Adäquate zusätzliche Schutzmaßnahmen sind zu treffen, zum Beispiel bei der Schutzausrüstung der Arbeitskräfte.

Entscheidende Frage: Ist der zu detektierende Gefahrstoff schwerer oder leichter als Luft? Informationen über die Dichte der Stoffe findet man in den Sicherheitsdatenblättern.

 

 

  • Wie stellt man fest, ob ein Gas schwerer oder leichter als Luft ist (wenn Gas und Luft gleich temperiert sind)?

Zum Beispiel durch den Vergleich der molaren Masse der Verbindung mit der von Luft (29 g/mol). Die molare Masse der Verbindung berechnet man durch die Bildung der Summe der molaren Massen der Elemente, multipliziert mit ihren Indexzahlen. Die relative Atommasse der einzelnen Elemente findet man im Periodensystem unter dem ausgeschriebenen Namen des Elemtens:

Beispiel:

 

  • Der natürliche Sauerstoffgehalt in der Luft liegt bei 20,9 Vol.-%. Gefährlich für den Menschen wird es erst, wenn der Gehalt unter 17 % sinkt. Warum ist beim Freimessen dann schon ein geringfügig reduzierter Wert von 20,5 Prozent Sauerstoff alarmierend?

Weil in einer Atomsphäre selbst bei einem reduzierten Sauerstoffgehalt schon Grenzwertüberschreitungen von explosionsgefährlichen oder gesundheitsschädlichen Stoffen vorliegen können.

Luft besteht bekanntlich aus rund vier Teilen Stickstoff und einem Teil Sauerstoff. Wird in dieser Mischung ein anderes, inertes Gas freigesetzt, reduziert sich durch die Verdrängung nicht nur der Sauerstoffanteil, sondern auch der Stickstoffanteil - und zwar in der vierfachen Menge. Werden beispielsweise 10 Vol.-% Helium freigesetzt, geht de Sauerstoffkonzentration um 2 Vol.-%, die Stickstoffkonzentration um 8 Vol.-% zurück.

Was das bedeuten kann, wird im Umkehrschluss deutlich: Angenommen, der Gasdetektor misst in einem Behälter 20,5 Vol.-% Sauerstoff. Das fremde GAs hat hier nicht nur 0,4 Vol.-% Sauerstoff verdrängt, sondern auch 1,6 Vol.-% Stickstoff - insgesamt sind also 2,0 Vol.-% des unerwünschten Stoffes in der Atomsphäre. Das entspricht umgerechnet 20.000 ppm - bei fast allen Gefahrstoffen ist das eine tödliche Konzentration.

Die Faustregel lautet: 5 Vol.-% Fremdgase reduzieren den Sauerstoffgehalt in einem geschlossenen Raum um 1 Vol.-%. Ein Volumenprozent einer Konzentration entspricht 10.000 ppm

==> WICHTIG: Der Sauerstoffwert allein ist nicht aussagekräftig. Und zugleich bedeutet ein Sauerstoffgehält von 20,9 Prozent nicht, dass keine Gefahrstoffe in der Luft sind!

 

  • Wie rechne ich Vol.-% in ppm oder ppb um?

Explosionsgefährliche Gase wie Methan, Ethan und andere Kohlenwasserstoffverbindungen entfalten ihre Wirkung im Vol.-%-Bereich. Toxische Gase (CO, Cl2, H2S, HCN...etc...etc...etc...) werden dagegen schon in viel geringeren Konzentrationen gefährlich, man misst sie daher im ppm-Bereich.

UMRECHNUNGSFORMEL

1 Vol.-% = 10.000 ppm = 10.000.000 ppb

 

  • Warum kann man das Messgerät nicht am Trageband in den Raum oder Behälter, der freigemessen werden soll, herunterlassen?

Ganz einfach: Weil man das Display nicht ablesen kann, wenn das Gerät dort unten hängt. Gelegentlich wird gegen dieses Argument eingewandt: Wenn aber das Gerät unten im Behälter nicht piept, gäbe es doch offensichtlich keinen Grund für einen Alarm und man könne den Behälter freigeben.

Das stimmt nur bedingt: Denn was ist, wenn der Wert, den das Gerät unten misst, ganz knapp unter dem Grenzwert liegt? Würde man ein solches Ereignis auf dem Display sehen, wäre man sicherlich alarmiert - auch wenn die Alarmschwelle selbst nicht überschritten ist.

  • Wie lange muss man einen Schlauch bei der Probenahme spülen, bis man messen kann?

==> Eine Faustregel sagt: 3 Minuten Messzeit pro Meter Schlauch plus 30 Sekunden. Eine andere lautet: an jedem Messpunkt pro 10 Meter Schlauch fünf Minuten Messzeit.

Entscheidend ist: Die genaue Dauer der Spülzeit differiert je nach Messaufgabe. Bei der Berechnung sollten neben den Dichten der jeweiligen Gase auch Absorbtion und Wandleitungseffekte berücksichtigt werden. Wie stark diese ausfallen, hängt u. a. vom Material des Schlauchs ab: Viton ist chemisch resistenter als vulkanisierter Kautschuk, hat eine geringere Wandhaftung und ist lösungsmittelbeständig.

 

  • Darf man Gasdetektoren mit Zubehörteilen - zum Beispiel Schläuchen oder Pumpen - anderer Hersteller mischen?

Wie auch bei Atemschutzgeräten gilt die klare Regel: Nein, auf keinen Fall! Zwar würde Ihr Gaswarngerät möglicherweise ebenso gut mit einem Schlauch eines anderen Herstellers funktionieren - es gibt aber keine rechtliche Gewährleistung dafür, wenn es zu Fehlern oder einem Zwischenfall kommt. Denn Gasmessgeräte erhalten ihre Zulassung nur in Kombination mit bestimmten spezifizierten Zubehörteilen - welche das jeweils sind, ist inder sogenannten Konformitätserklärung (im technischen Handbuch) niederlegt.

==> WICHTIG: Ein Schlauch aus Gummi ist nicht geeignet um Schwefelwasserstoff zu messen - die H2S Moleküle diffundieren durch dieses Material nach außen!

 

  • Was sollte in einem Freimess-Protokoll aufgezeichnet werden?

Das Protokoll muss nachvollziehbar machen, welcher Raum oder Behälter wann freigemessen wurde - und unter welchen Voraussetzungen. Unverzichtbare Angaben sind daher:

  • Datum und Uhrzeit bzw. Zeitraum
  • Behälternummer und Messpunkt am Behälter, falls mehrere Messpunkte vorhanden sind
  • gemessene Gefahrstoffe
  • Verantwortlichkeiten (Name der freimessenden Person, Ausführender) und
  • die für die Freimessung verwendeten Geräte, damit diese im Nachhinein eindeutig zuzuordnen sind.

 

Quelle: © Drägerwerk AG & Co. KGaA

Quellen und weiterführende Informationen

"Handbuch zur Einführung in die Gasmesstechnik" von Dräger; Informationen zu confined spaces auf Seite 23
"Hazards of Confined Spaces" von Worksafe BC; Englisch